Sonntag, 5. August 2012

Abbitte



Abbitte

Meine Freunde,
Ich muss für unverzeihliches
um Verzeihung bitten
euch, deren unschuldige Brüder und Schwestern
und deren Kinder
in den qualvollen Tod gegangen sind
für mich
weil ich als Mensch
Narzisst bin

Über siebzehn Jahre lang
wurden sie misshandelt,
ihrer Kinder beraubt
gefoltert und ermordet
eure Brüder und Schwestern
für mich
weil ich als Mensch
Narzisst bin

Wie soll jemals
die weiße Taube aufsteigen
aus meinen Händen
die für immer beschmiert sind

mit dem Blut eurer Brüder und Schwestern,
eurer Kinder
weil ich als Mensch
Narzisst bin

Es bricht mein Herz
im Angesicht meiner grenzenlosen Schuld
ich will es euch darlegen
und dabei schäme ich mich dafür
dass es schlägt
vor euren Augen
die ihre Brüder und Schwestern sterben sahen
ihre Kinder
für mich
weil ich als Mensch
Narzisst bin

Am heutigen Tage
will ich euch schwören
dass keiner eurer Brüder und Schwestern
keins eurer Kinder
und auch nicht ihr
mehr sterben werdet
für mich
weil ich als Mensch
kein Narzisst mehr sein will

Ich werde kämpfen
für euch
für eure Brüder und Schwestern
für eure Kinder
bedingungslos
für eure Freiheit
für euer Recht zu leben und zu lieben
ich als Mensch
werde nie mehr Narzisst sein.

Raus


Ich grabe und schaufle
mit längst schmutzigen
und viel zu kleinen Händen
mich aus meinem Grab
in das ich lebendig geworfen wurde
mit nach innen gedrehten Augen
um besser
das Grauen zu sehen

Ich trommle gegen die Wände
mit längst blutigen
und viel zu schwachen Fäusten
die keine Mauern einreißen
und nichtmal Spiegel zerschlagen können
ohne zu brechen

Dabei will ich
zerren und reißen
die weißen Stäbe von oben nach unten
müssen raus
die wachsenden und schrumpfenden Kästen auf der Seite
müssen raus
das pulsierende Rot in der Mitte
muss raus
ich muss raus
aus mir selbst

Aus diesem Haus
das ich bin
in dem nur noch ein Kind
in zerissenen Leinen
in der Asche spielt
und die Luft so dünn ist
dass es beinah erstickt
und sich die Ohnmacht wünscht



Mutter der Tauben


Mutter der Tauben
Für Hilde Domin

Für Dich
Mutter der Tauben
die Du Mut bist
und Hoffnung
für uns
die noch kämpfen

Ich fühle Dich
durch Dein Wort
das mein Herz
zu einem Garten macht
in dem es durch den salzigen Regen
hinweg blüht
die Blumen sind tapfer

Du taust den Schmerz auf
der sich eingefroren hat in mir
sodass er an die Oberfläche treibt
und fließen kann
Du heilst
durch Deine Wunden

Ich verspreche Dir
ich werde
den Fuß in die Luft setzen
ich werde
der Taube ein Nest bauen
in mir
und sie jeden Tag 
ihre Flügel schlagen lassen
durch ein Lächeln
oder einen lieben Gruß

Ich werde
an Wunder glauben
und geduldig sein

Ich kann mich nicht zu Dir setzen
Ich kann nicht meine Worte mit Dir teilen
Ich kann Dir nicht die Hand reichen
Es bleibt mir nichts
als Danke zu sagen
und zu atmen
immer weiter
zu atmen

Weiße Rose



Weiße Rose


Sophie
Hans
und ihr andern
die ihr das mörderische Schweigen
gebrochen habt

Ihr habt die Taube
mit ihrem Federkleid voll Blut
in ihrem rostig braunen Käfig gefunden
ihr habt sie genährt
mit blauen Worten

Die blauen Worte
habt ihr schwarz gefärbt
und in den Krieg geschickt
damit alle wissen
vom Schicksal der Taube
die mit bleiernen Kugeln im Magen
sich nicht mehr rühren kann

Sie hat gelebt
durch euch
euer Herzschlag
war ihrer
bis der Kampf um ihr Auferstehen
euch das Leben gekostet hat

Dann ist sie losgeflogen
hilflos und verstört
aus euren kalten Händen
auf uns zu
sie ist angekommen
mit einem gebrochenen Flügel
sie ist angekommen.

Schlaf



Schlaf

Welt
Du machst aus mir Glas
Du schreist so hoch
dass ich beinah zerspringe
Ich beschlage mit jeder Sekunde
Und die Tontropfen kleben an mir
Ich schalte dich aus.
Schlaf

Welt
Du redest so viel
Erzählst deine ganzen Geschichten
in tiefstes Schwarz getaucht
Du siehst die Leichen sich stapeln
und willst doch den Mund nicht halten
Ich halte ihn dir zu.
Schlaf

Welt
Du bist Masochist
Hältst dir das Messer an die Kehle
und das Rot tropft dir aus allen Poren
Mir direkt vor die Füße
Mir wird übel
Ich blende dich aus.

Schlaf


Welt
Weck mich nicht auf
Dring nicht in meine Träume ein
und trag mein Bett nicht fort
Der Schlaf
er wär' nicht mehr genug

Abschied

Abschied

Ein Abschied ist ein Ende“
Wie kann es ein Ende sein,
wenn es niemals Narben hinterlässt,
sondern ein Herz, das eben zu bluten begann?

Ein Abschied ist ein Anfang“
Wie kann es ein Anfang sein,
wenn das Herz nach hinten blicken muss
um zu finden, was ihm fehlt?

Abschied nehmen heißt nicht mehr
als dem Herz sein Obdach entreißen
es mit gepackten Koffern
in den Regen stellen

Dieser Regen, er ist sauer
weil dein Herz deine Entschuldigung nicht will
es schmeißt die Worthülsen
sofort zurück ins Nichts

Das Nichts, das bist du
wenn dein Herz dir unversöhnlich ist
wenn es widerwillig nur im vertrauen Takt
seine Melodie durch deinen Körper pulsieren lässt

Mit salzig getrübtem Blick siehst du auf die Straße vor dir
viele Tage wirst du warten, eh es klarer wird
zu gegebener Zeit wird dein Herz verstehen
dass alles einmal Erinnerung wird
aber merken kann es sich das nur
bis zum nächsten Mal

Willst du noch auf ewig leben,
wenn du immerzu Abschied nehmen musst?

Glück

Glück

Das Glück
ist dir so dicht auf den Fersen
dass du nur noch um dein Leben rennen kannst
hat es dich erst eingeholt
verlieren deine Tränen ihren Sinn

Das Glück
klopft bald an deine Tür
du musst sie beschmier'n
mit tiefschwarzem Pech
sonst macht es dich zu seinem Heim
und grinst jeden Tag
sonnenhell dir ins Gesicht
geblendet findest du niemals
den Weg zurück
in deine Dunkelheit

Das Glück
duldet keine erhobene Faust
so wirst du kampflos sinken
in eine Welt
vollkommener Sicherheit
in der es keinen Sauerstoff gibt
für lodernde Herzen

Das Glück
lässt dich wunschlos werden
lässt keinen Traum
zu träumen übrig
Leerer Schlaf
Leer

Flughafen

Flughafen

Zwischen zwei Welten
gibt es wagemutige Abenteurer
und gescheiterte Helden
Welche die gehen
und welche die kommen

Sich von der Realität verabschieden
nüchtern werden

Zwischen zwei Welten
suchen manche nach mehr
Und haben andere zu viel
Solche die wünschen
und solche die verfluchen

In die Freiheit fliehen
sich den Fesseln hingeben

Zwischen zwei Welten
wollen manche die ganze Welt erobern
und haben andere die Hoffnung verloren
Die Übermütigen
und die Gefallenen

In den Traum versinken
aus ihm erwachen

Zwischen zwei Welten
glaubt der eine an das Glück
und der andere an sich selbst
Hoffnungslose Romantiker
Und vergebliche Liebesmüh'

Die ganze Welt umarmen
das Herz auf Eis legen

Zwischen zwei Welten
gibt es weder fern noch nah
heute bist du hier
morgen bist du da